Demokratie, Autokratie, Staatliche Gewalt, Perspektiven - Antworten an den Osterholzer Anzeiger

Für den Osterholzer Anzeiger haben wir einige Fragen zu unserer Position gegen die Kriegsertüchtigung beantwortet. Schwerpunkt war, inwiefern bei dieser Kritik zwischen demokratischen und autoritären Staaten differenziert werden sollte. Auf Basis dieser Antworten wurde unsere Position dargestellt und einer „kritischen Analyse“ unterzogen.

Diese Analyse unterstellt uns als „weiße wohlstandsverwöhnte [Leute]“, aufgrund der fehlenden Differenzierung zwischen den „konkreten Erscheinungsformen staatlicher Gewalt“ mit unserer Kritik daneben zu liegen. Wir müssten verstehen, dass es etwas Schlimmeres gäbe, als „den stummen Zwang der Verhältnisse und den Tod.“, heißt es zum Beispiel.

Eine Kritik, zu der wir einiges zu sagen haben, was aktuell aus Zeitgründen aber nicht möglich ist. Deshalb haben wir hier unsere originalen Antworten veröffentlicht, um sich selbst ein Bild von unserer Position machen zu können.

Ideologiekritische Nachfragen

Wenn Sie argumentieren, es sei unerheblich, für welchen staatlichen Zweck Bürgerinnen und Bürger im Ernstfall „zerfetzt“ werden – setzen Sie damit nicht demokratische und autoritäre Systeme gleich? Gibt es für Sie keinen politischen Unterschied zwischen einem pluralistisch verfassten Rechtsstaat und einem diktatorischen Regime?

Vielleicht sei zuerst einmal erwähnt, dass es um die Frage der Staatsführung in diesen Konflikten einfach nicht geht. Man sollte sich derlei Auseinandersetzungen von Gewaltmonopolisten nicht so vorstellen, dass diese ihre Gesellschaften auf Kriegswirtschaft umbauen und dann teilweise ihre Existenz damit aufs Spiel setzen, weil die eine Seite nun von Berlin bis Moskau CSDs erlauben will und die andere verbieten will. Auch schon der Blick darauf, wer strategischer Bündnispartner westlicher Länder ist und war, zeigt dies ziemlich deutlich: Der „Zweck“ für den westliche Staaten ihre Leute aufs Schlachtfeld rufen ist nicht die Demokratie. Insofern sehen wir in der Gewaltfrage tatsächlich keinen politischen Unterschied. Beiden Formen der bürgerlichen Staatsführung ist gemeinsam, dass für die Bürger*innen der Zwang zur Verteidigung staatlicher Souveränität gilt.

Wenn jede militärische Gewaltanwendung als Folge allgemeiner „Staatenkonkurrenz“ gilt – wie positionieren Sie sich dann zu historischen Konstellationen wie dem militärischen Widerstand gegen Hitlerdeutschland? Wäre auch dieser aus Ihrer Sicht abzulehnen?

Man sollte bei derlei Gedankenspielen eines Mal unterstreichen: Der militärische Widerstand gegen Hitler-Deutschland der alliierten Staaten war nicht im wahnhaften Antisemitismus der Nazis begründet. Natürlich mögen einige viele Soldaten oder Befehlshaber von den Bildern des Holocausts oder dem Vernichtungskrieg im Osten persönlich ein Interesse gehabt haben, eben dieses Regime wegen ihres Charakters niederzuringen. Das ändert aber nichts daran, dass die alliierten Staaten ihre eigenen Souveränitätszwecke; Weltmachtsansprüche gefährdet sahen und deshalb in den Krieg eingestiegen sind. Selbe Ansprüche, für die sie später mit ideologischen Freunden wie z.B. Pinochet gemeinsame Dinge gemacht haben oder auch gleich auf die „Fachkräfte“ der NS-Elite zurückgegriffen haben, wie mit Reinhard Gehlen, quasi Begründer des BNDs, um an Spionagewissen über die Sowjetunion zu gelangen. Es wäre also etwas unsinnig darin einen Antifaschismus zu erkennen. Dieser war von staatlicher; also Befehlsseite das unzweckmäßige Nebenprodukt.

Wir kritisieren zudem ja nicht Gewalt per se. Sondern eben die jene Gewalt, die Staatszwecken dient und dafür ihre Untertanen in die Pflicht nimmt. Wenn es doch tatsächlich um die direkte Verteidigung des eigenen Lebens geht, was z.B. für alle Opfer des Vernichtungskriegs im Osten oder natürlich auch den europäischen Jüd*innen galt, dann wären wir ja irre ihnen zu raten, sich zu ergeben. Individueller oder kollektiver Widerstand gegen Faschismus, der dies tatsächlich zum Zweck hat, wie z.B. verschiedenste Partisanengruppen, ist doch nicht zu kritisieren, wenn Menschen sich dazu entschließen.

 

Wenn das staatliche Gewaltmonopol in seiner Gesamtheit delegitimiert wird – wie soll dann in einer Demokratie der Schutz von Freiheit, Rechten und Unversehrtheit gewährleistet werden?

Auch diese Frage ist geleitet von einem Ideal dem wir widersprechen: Das Gewaltmonopol als Garant des guten Lebens. In Form des Garantierens von „Rechten, Freiheit und Unversehrtheit“. Dabei ist es doch gerade andersherum: Wenn ein Staat im Kriegsfall ganz offensichtlich nichts Höheres kennt als seine Souveränität; heißt Hoheit über Land und Leute, dafür sogar bereit ist über die Leichen seiner Leute und über die Zerstörung seines Landes zu gehen, dann könnte man doch mal überlegen, ob`s so einem Staatswesen nicht auch in Friedenszeiten nur um seinen staatlichen Erfolg geht und auch im „Normalzustand“ schon dafür die Leute in die Pflicht nimmt. Von diesem Blickwinkel stellen wir mal die Frage, ob diese Rechte nicht vielleicht für diesen Zweck; also für das in Anspruch nehmen der Bürger*innen für staatlichen Erfolg gedacht sind. Immerhin ist der staatliche Erfolg in Friedenszeiten gleichbedeutend mit kapitalistischen Wachstum. Und dafür braucht‘s eine bürgerliche Konkurrenzgesellschaft von freien Eigentümer*innen. Praktischerweise garantieren diese Rechte eben genau solch eine Gesellschaft. Da lohnt es sich doch mal dem nachzugehen, warum es in dieser Gesellschaft allgegenwärtig die (Androhung der) staatliche(n) Gewalt braucht.

Wenn man schon so grundsätzlich über Gesellschaft denkt, dann sei vielleicht noch angemerkt, dass die „Delegitimierung eines Gewaltmonopols“ keineswegs die Abwesenheit von gesellschaftlichen Einigungen, Kontroll-, Konfliktlösungs- oder Achtsamkeitsinstanzen bedeuten muss. Wenn eine Masse von Menschen zu dem Entschluss kommt, ein Leben als Verfügungsmasse eines Staates schadet ihnen, diese also ein besseres Leben für sich in Gesellschaft anstreben, dann ist es wohl möglich, solche gemeinschaftlichen Entscheidungen zu treffen.

Praktische Nachfragen:

Was soll ein demokratischer Staat – beispielsweise die Ukraine oder ein baltisches EU-Mitglied – Ihrer Meinung nach tun, wenn er militärisch von einem autoritären Nachbarn bedroht oder angegriffen wird?

Wir sind aber nicht der Staat, bzw. die Führung eines solchen, entsprechend ist die Frage eine unsinnige und keineswegs eine praktische. Wir sind als junge Menschen die Leute, die den Kopf notfalls hinhalten MÜSSEN. Viele junge Menschen z.B. in der Ukraine wollen das gar nicht mehr. Ihnen können wir – wie auch den russischen Wehrpflichtigen – nur eine erfolgreiche Flucht oder ein erfolgreiches Untertauchen wünschen.

Im Übrigen verschwimmt dieser Charakter autoritär/demokratisch im Kriegsfall doch total. Man braucht sich nur mal die Ukraine ansehen, oder auch den Ton, der auch hierzulande rauer wird. Dieser ist nämlich eben nicht nur irrationaler Selbstzweck böser Staatenführer*innen, sondern ergibt aus Staatslogik – ohne da Sympathie für zu empfinden – in gewissen Lagen eben Sinn. Entsprechend gilt es diese Staatslogik anzugreifen und nicht nur ihre autoritären Auswüchse.

Zudem klammert die Frage den Inhalt aus, weshalb diese Länder bedroht werden. Alle Staaten der Welt meinen, sie „verteidigen sich“. Dabei hat dieses sich defensiv gebende staatliche Verhalten, dann meist ziemliche negative Auswirkungen auf seine konkurrierenden Artgenossen. Anzeichen genug, zu sehen, dass der geltende Frieden, wohl alles andere als ein harmonischer Zustand zwischen den Staaten ist. Für die immer so harmlos dargestellte europäische Friedensordnung, die von Russland infrage gestellt wird, gilt dies genauso. Mit dem EU-Anspruch ihren (Neu-) Mitgliedern aus der ehemaligen russischen Einflusssphäre, die Rahmenbedingungen ihres gesamten Wirtschaftens zu diktieren, stellen sie Russland peu a peu in eine wirtschaftliche und machtpolitische Verliererposition. Aus staatlicher Logik – wieder keine Sympathie an dieser Stelle – ergibt es Sinn, mit seinem Militär den eigenen Anspruch der zwischenstaatlichen Regelungen dagegen geltend machen zu wollen. Immerhin braucht ein jedes erfolgreiches kapitalistisches Gemeinwesen; also Gewaltmonopol sein Wachstum.

Und in der Absolutheit, auf die jeweiligen Ansprüche der künftigen Friedensordnung zu bestehen, nehmen sich beide Seiten nichts. Beide Seiten, die sich dafür schon immer ein Militär halten. Bzw. jetzt nach dem Verlust der USA als sichere Rückendeckung eben so massiv „nachrüsten“. Denn sie wissen, ihre Ansprüche lassen sich gegeneinander nur mit der überlegenen Gewalt durchsetzen. Selbe Ansprüche die die Bürger*innen auf allen Seiten als Befehl erreichen. Aus der Frage welche Partei den Konflikt dann zum Krieg eskaliert, für den beide Parteien ihre Kriegsgründe haben, ist doch wirklich keine Parteilichkeit für eine Seite zu entnehmen. Als Menschen, die auf allen Seiten das Mittel in diesen Konflikten sind, sollten wir uns doch vielmehr genauer ansehen, woher diese gewaltsamen Ansprüche kommen und wie diese überwunden werden können.

Halten Sie es nicht für problematisch, Menschen, deren Lebensweise oder Existenz durch äußere Gewalt gefährdet ist, zu empfehlen, auf militärische Verteidigung gänzlich zu verzichten?

Der Krieg gefährdet doch das Leben der Leute. Und die Leute sind nicht gefragt über Zielsetzung, Dauer, Intensität dieses Krieges. Da streiten sich Staaten um Souveränitätsansprüche und zwingen die Menschen dafür aufs Schlachtfeld, bis ein für sie zufriedenstellendes Ergebnis erreicht ist. Die „Lebensweisen“ der Leute sind dort nicht Sache.

Zudem werden sie ja nicht als Individuen angegriffen, sondern als Substanz des gegnerischen, also hier ukrainischen Staatswillens, zu dem sie von ihrem eigenen Staat gemacht werden. Somit greifen beide Seiten ziemlich in die Lebensweise und Existenz ein, in dem sie diese als reines Material betrachten, mit und über dessen Leben ihre Ziele erreicht werden sollen. Was hat ein toter Ukrainer von der Rückeroberung der Krim, für die er nicht sterben wollte? Was hat ein toter Russe von der militärischen Verteidigung der „legitimen Sicherheitsinteressen“?

Entsprechend ist es eine mit Verlaub gesagt zynische Formulierung „Leuten [den Verzicht auf] militärische Verteidigung“ zu empfehlen. Leuten die für einen Staatswillen andere Menschen töten muss, die er nicht kennt, um nicht selbst getötet zu werden, von Menschen, die ihn nicht kennen.

Es wäre anmaßend diesen Menschen in solch einer Situation, aus dem bisher sicheren Deutschland irgendwelche Heldenratschläge zu geben. Wir treten mit unserer Kritik in die Öffentlichkeit, damit es erst gar nicht zu weiteren solchen Szenarien kommt. Indem die Menschen eben ihren Staatenführer*innen künftig die Befehle kollektiv verweigern und ihnen somit die Freiheit nehmen, solche Schlachtfelder zu veranstalten.

Wenn Sie zurecht auf die strukturellen Ursachen von Krieg verweisen – welche politischen Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus konkret für das Hier und Jetzt, in einer Welt, in der keine internationale kommunistische Revolution bevorsteht?

Das eben, was wir machen. Mit verschiedensten genannten Veranstaltungen unsere Position in die Öffentlichkeit tragen und zur Diskussion stellen. Wir halten es in dieser Weltlage für sinnvoll seine praktische Ohnmacht bei diesem Schlachten einfach einmal anzuerkennen und nicht irgendwelche Gründe für Parteilichkeit zu suchen, um die es in diesen brutalen Konflikten um Machtansprüche von Staaten gar nicht geht. Sich eben mit den Gründen dafür auseinandersetzen, um jenen vielen Menschen, die heute noch ihren jeweiligen Ländern die Daumen drücken, Gründe zu liefern, dies irgendwann mal nicht mehr zu tun.

Auch wenn wir natürlich keine Gegner*innen des kollektiven Widerstandes im hier und jetzt sind – im Gegenteil – genauso sollte man sich keine internationale handlungsfähige Antikriegsbewegung imaginieren, die es nicht gibt und dann große Apelle an die kriegsführenden Staatenlenker*innen richten.

Mit eben unserer Position wollen wir dazu beitragen, solch eine Bewegung aufzubauen. Entsprechend kann man sich überlegen: Leuchtet einem das ein, was wir sagen, dann kann man sich gerne anschließen. Leuchtet einem das nicht ein, kann man mit uns, z.B. per Mail, diskutieren.

Daraus ergibt sich für mich eine zentrale Frage, die ich Ihnen zur Diskussion stellen möchte:

Warum sollten Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Staates in einer weltpolitischen Ordnung, die weiterhin von Nationalstaaten, deren Mehrheit autoritär regiert werden, geprägt ist, kein Interesse daran haben, dass ihr Gemeinwesen über ein verteidigungsfähiges Heer verfügt – gerade angesichts der realen militärischen Übermacht autoritärer Staaten wie Russland? . Laut aktuellen Umfragen befürworten rund 70 Prozent der Bevölkerung eine Wiedereinführung der Wehrpflicht, teils auch für Frauen.

Im Prinzip haben wir das mit allen oben genannten Fragen bereits beantwortet. Vielleicht mal so: Alle Menschen sind in dieser modernen Welt der Nationalstaaten vom Erfolg ihres eigenen Staates abhängig gemacht. Eine andere Art und Weise des gesellschaftlichen Lebens gibt es nicht. Möchte man diese Abhängigkeit aber, in der man wie bereits beschrieben, in Kriegs- wie in Friedenszeiten das Mittel zum Erfolg seines Staatswesens ist, wirklich wohlwollend akzeptieren? Partei ergreifen für ein Gemeinwesen, dessen Erfolg z.B. aktuell heißt „Wir müssen alle mehr arbeiten“? Uns in Gegnerschaft stellen zu Menschen eines anderen Staates, weil eben „unserer“ Staat mit diesem konkurriert, obwohl wir diese Menschen nicht einmal kennen?

Wäre es nicht viel „realitätsnäher“ als Menschen, die da alle im Prinzip nichts trennt; ein schönes Leben führen möchten, Gesellschaft gemeinsam gänzlich anders zu denken? Als (erstmal geistig) freiwillig mitzumachen beim potenziell bevorstehenden großen Schlachten? Wir, gerade als mehrheitlich junge Menschen, plädieren mit dem Interesse an einem guten Leben deutlich für ersteres.