Rede 2 - Werte

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Dass man in den Kriegen der Staaten zum bloßen Mittel reduziert wird, mit dessen Leben ein Machtanspruch durchgesetzt wird, bei dem man als Normalsterblicher nichts mitzureden hat, reicht einigen Leuten ganz offensichtlich nicht, diesen Gewalten ihre Feindschaft anzusagen. Im Gegenteil.

Wer der allgegenwärtigen Kriegsertüchtigung dieser Gesellschaft widerspricht, kann mit einigem Gegenwind rechnen. Das, was man an Kriegsrechtfertigungen von Politiker*innen und Medienschaffenden in Talkshows rauf und runter hört, wird einem gerne auch von Lehrkräften, Eltern oder Kollegen vorgehalten: Eine beliebte Sache davon sind die Werte. – Entschuldigung „unsere“ Werte natürlich, um die es da vermeintlich geht.

Meinungsfreiheit, Demokratie, Rechte für queere Menschen um nur mal ein paar zu nennen. Dieser Logik, die ja nichts anderes im Sinn hat, als Parteilichkeit für eine Kriegspartei zu erschaffen, wollen wir hier heute mal etwas inhaltlich entgegenhalten.

Auf den ersten Blick kann es ja fast sogar nachvollziehbar erscheinen. Da gibt es Staaten auf der Welt, die ihren Leuten das Leben noch deutlich schlechter machen als hier, also ist man froh, wenn diese angegriffen werden. Dabei gibt es aber einige sehr gefährliche Denkfehler.

Zum Ersten kann man allein schon den Aussagen von Merz und Putin entnehmen, dass sie sich nicht darüber streiten und dafür ihre Gesellschaften auf Kriegswirtschaft umbauen, ob von Moskau bis Berlin jetzt CSDs stattfinden dürfen oder nicht. Sie nicht erst aufhören, wenn die Gegenpartei Querrechte erlassen oder abschaffen. Sie streiten darüber, wie die zwischenstaatlichen Verhältnisse, heißt in erster Linie Fragen von Ökonomie und gegenseitiger staatlicher Anerkennung, auszusehen haben.

Der Krieg ist das Mittel, den dahingehenden Staatswillen der anderen Seite zu brechen.

Wie die Staaten mit der dann gewonnenen oder verlorenen Macht mit ihren Leuten umgehen, ist hier einfach nicht Thema.

Auffällig ist aber, dass diese Werte von den Staatenführer*innen trotzdem ins Feld geführt werden, obwohl es ihnen in den Verhandlungen darum gar nicht geht. Auffällig ist auch, dass in den Fällen, in denen Deutschland dann mit Ländern wie Saudi-Arabien oder Qatar zusammenarbeitet – die ja nicht gerade für ihre Queer-Freundlichkeit bekannt sind – diese Werte schnell mal unter den Tisch gekehrt werden. Schlimmer noch – wenn da so Konstrukte wie das demokratisch-konföderalistische Rojava, die nach der Werte Logik von Linksliberalen, wohl der beste Freund des Westens sein müssten – aber den Machtinteressen von NATO-Partnern widerspricht, dann können auch schon einmal deutsche Bomben auf sie geworfen werden. Und by the way: Einem Trump, Abtreibungsgegner, Rassist und Vergewaltiger geht es im Iran bestimmt nicht um die Ziele der Jin, Jiyan, Azadi Bewegung.

Diese Werte werden also instrumentell eingesetzt. Dann wenn es passt, um die brutalen Machtinteressen eines Staates, die dieser ganz ohne die Werte bereits hat, zu legitimieren.

Aus der Brille betrachtet kann man sagen, dass es für Menschen, die unter der teils schrecklichen Behandlung durch staatliche Gewalt leiden und gegen Patriarchat, Queerfeindlichkeit und andere Formen der Unterdrückung kämpfen, eine zynische Form der Instrumentalisierung darstellt. Um das Leid der Leute geht es diesen Politiker*innen einen Scheiß, stattdessen muss es herhalten zur Delegitimierung ihrer Gegner.

Im Übrigens braucht man sich auch nur einmal anschauen, was die Politiker*innen des Westens so zum Besten geben, um zu merken, dass „unsere Werte“ sich auch ganz schnell mal zum negativen wenden können. Wenn der Bundestag ihrer Verwaltung die Teilnahme an CSDs verbietet, weil „politisch umstritten“ oder – deutlich schlimmer – die Geflüchteten-freundliche „Empfangsgesellschaft“ plötzlich nicht nur mehr Menschen im Mittelmehr ertrinken lässt, sondern gleich exterritoriale Lager errichten möchte, zur besseren Abweisung, dann ist klar, auch die vielleicht irgendwie sympathischer wirkenden Aspekte dieser Gesellschaft haben ihre Grenzen da, wo Politiker*innen den Erfolg der Nation gefährdet sehen.

Wer sich also gegen dieses Leid der Leute stellt – als Betroffene oder auch als schlicht empörte Person – dem ist schlecht beraten, den Garanten dafür im deutschen Staat und seinen globalen Machenschaften zu sehen. Ein Staat, an dessen Führung aktuell ein Friedrich Merz sitzt der in den 1990ern noch legal seine Ehefrau vergewaltigen dürfen wollte. Ein Kanzler, der unter dem Motto „Verantwortung für Deutschland“ nun ein deutlich konservativeres Familien- und Gesellschaftsbild stärken möchte.

Bei der Meinungsfreiheit übrigens genauso: Wer hierzulande etwas zu öffentlichkeitswirksam dem Genozid in Gaza widerspricht, merkt mit dem Polizeiknüppel im Gesicht oder dem verlorenen Job recht schnell, dass der Meinungskorridor auch mal etwas enger gefasst werden kann, wenn der Staat diese nicht mehr für nützlich hält. Beispiele dafür gibt es genug, man braucht sich nur einmal die Bilder vom 8. März aus Berlin anzusehen oder mal die Lokalpresse lesen, in der über Kündigungen wegen angeblichen mangels von „Verfassungs- und Rechtstreue“ berichtet wird.

Es sind die Themen die tiefer gehen, als die Frage ob jetzt Merz oder Scholz besser aufrüstet oder abschiebt. Es sind die Themen, die tiefer gehen, als wer jetzt wie diese Verhältnisse wie regieren soll, die zeigen wofür den eigenen Regierenden die Meinungsfreiheit lieb ist: Zur produktiven Mitmischung in diesem System. Diesem Staat, mit dieser Räson.

Wer dann dummerweise merkt, dass einiges Leid, wie Kriege oder die Klimazerstörung, wo es ja um nichts anderes als unser Leben geht, wohl zu diesem System dazu gehören, der kann sich dann nicht mehr auf die Meinungsfreiheit verlassen. Im Gegenteil: Sieht ein Staatswesen sich davon wirklich angegriffen, dann kennt er mehr als nur den Polizeiknüppel in Lützerath oder auf Palästina-Demos. Wenn Menschen real dem Staatserfolgs entgegenstehen, dann kennt er genug Mittel sich gegen diese Leute zu behaupten.

Und im Kriegsfall ist er da eben ganz penibel. Man kann es an der Ukraine sehen. Da kennt auch eine Demokratie sofort genug Gründe Methoden anzuwenden, die denen Russlands in nichts nachstehen.

Und trotz dieser unschönen Wahrheit über die Meinungsfreiheit, ist sie dann noch das Lieblingsmittel der Kriegslegitimation, und was für eines.

Da darf Ole Nymoen einmal in einer Talkshow voller Kriegsbegeisterter seine antimilitaristische Position äußern, wird dafür anschließend von allen Seiten beleidigt und teils sogar bedroht – und genau diese Leute verweisen dann später stolz darauf, dass er das ja sagen durfte, um zu beweisen, wie tolerant alles sei und warum man jetzt für Deutschlands Aufrüstung sein sollte. Für so ein Feigenblatt ist er ihnen dann doch gut genug.

Wenn die Bundeswehr einem dann per Werbeplakaten entgegenhält sie würden auch dafür kämpfen, dass wir gegen sie sein können, dann ist das im realen Kriegsfall zwar eh gelogen, soll aber eh nichts anderes bezwecken als uns zu sagen: Ihr dürft theoretisch gegen uns sein – also könnt ihr doch auf keinen Fall praktisch auch gegen uns sein! Und kriegsbegeisterte Mitbürger denken da gleich weiter und fügen ein: Also haltet gefälligst euer Maul!“, hinterher.

Die Meinungsfreiheit ist dem Staat also nützlich, indem damit jegliche Kriegskritik abgeschmettert wird

Also was ist das eigentlich für ein blödes Argument? Ich soll mit der Waffe in der Hand mein Recht verteidigen, selbiges nicht tun zu wollen? Und – egal was meine Meinung ist – dann trotzdem vom Feldjäger aufs Schlachtfeld gezwungen werden? Tolle Freiheit.

Wenn es uns also um ein besseres Leben geht, mit weniger, wohlmöglich ohne solch ein unschönes Eingreifen von Staatsgewalten in unser Leben oder mit unserem Leben, dann ist man ziemlich schlecht beraten, sich in anbahnenden Kämpfen der Staaten um Souveränität, Einfluss, und Reichtum sich auf eine Seite zu schlagen, sich freiwillig zu fügen. Eine Seite, der es nicht um dein Wohl geht, die dich als ihr Mittel, eine Zahl in einer Statistik, als Material seines Erfolges betrachtet. Eine Seite, die für die Durchsetzung ihres Souveränitätsanspruchs selbst genug Gründe kennt, dir dein Leben im Vergleich zu heute noch ungemütlicher zu machen.

Beenden kann dieses Leid; heißt die Kriege selbst, wie auch die schlechte Behandlung der Leute nachhaltig nur durch den Druck von unten. Wenn wir, die Bevölkerungen, uns erstens nicht mehr mit den jeweiligen staatlichen Logiken gemein machen und zweitens „unseren“ Staaten dann die Mitarbeit verwehren. Generalstreiks eben. Unrealistisch? Für jemanden der meint, im Konflikt von Staatsgewalten irgendwo sein Wohl wiederzufinden doch wohl eine deutlich realitätsnähere Perspektive.