Rede 3 - Brutaler Frieden

Seit mehr als drei Jahren wird in der Ukraine gekämpft – mit unzähligen Toten, zerstörten Städten und unermesslichem Leid. Schätzungen gehen von etwa 1,5 Millionen Toten und Verwundeten auf beiden Seiten aus.
Kein Wunder, dass inzwischen über die Hälfte der Ukrainer*innen sich einen raschen Frieden wünschen. Doch – und das ist die brutale Wahrheit, weshalb wir hier heute auf der Straße stehen – dass bringt die Regierenden keineswegs dazu, auf ihre Ziele zu verzichten. Für sie ist das in erster Linie ein logistisches Problem der Nachlieferung ihres Menschenmaterials.
Und jetzt, wo Donald Trump – natürlich nur im Namen des Friedens – sich mehr aus dem Ukrainekrieg herausziehen möchte, um stattdessen dann lieber den Iran zu bombardieren, unterstreichen die europäischen Politiker*innen diese Wahrheit regelrecht. Ihnen passt ein „frühzeitiger Frieden“ nicht, also rüsten sie auf, um irgendwie den Ausfall des amerikanischen Einsatzes zu kompensieren: Die militärischen Ausbildungsprogramme für ukrainische Soldaten werden verlängert, der Verteidigungsetat steigt ins unermessliche, die Lieferung deutscher Taurus-Marschflugkörper steht zur Debatte – deutsche Raketen, die russische Ziele weit im Hinterland treffen können und den Krieg auf eine nächste Stufe heben. Und mit der Wehrplicht, wird auch laut darüber nachgedacht, wie der deutsche Staat bei einer Eskalation dann im Ernstfall sein „Kanonenfutter“ zusammen bekommt.
Da könnte einem schonmal die Frage kommen; weshalb halten sie so hartnäckig an ihren Zielen fest?
Man kann es ja so sagen, beide Seiten sind wirklich bereit, nicht nur über die Leichen ihrer Leute und die Zerstörung ihrer Lebensbedingungen zu gehen, sie sind mit den Aufrüstungsausgaben und den Sanktionen auch für Maßnahmen bereit, die an ihrer eigenen Existenz nagen. Die eigene Existent am Ende sogar aufs Spiel setzen.
Hohe Energiepreise, schwächelnde Industrie, schwindendes Vertrauen von Investoren. All das untergräbt doch die Grundlagen der eigenen Wirtschaftskraft. Dem Erfolg des eigenen Wachstums. Warum wird das also trotzdem in Kauf genommen? Sind die einfach irre?
Die Antwort darauf kann man in der offiziellen Begründung finden:
Die Ukraine bleibt – so heißt es – das Schlachtfeld, auf dem „unsere Sicherheit, unsere Freiheit und der Frieden in Europa“ verteidigt werden sollen.
Doch was steckt hinter diesen großen Worten?
In den anderen Reden haben wir schon darauf hingewiesen: Die Sicherheit Deutschlands besteht auf jeden Fall nicht darin, dass Menschen im bereits laufenden oder wohlmöglich eskalierenden Krieg unbeschädigt bleiben. Und auch die vielbeschworene Freiheit bedeutet keinesfalls die Freiheit der Einzelnen, zu entscheiden, ob sie an diesem Krieg teilnehmen möchten. Wer kämpft, tut das nicht aus freier Entscheidung – der Krieg wird befohlen, und wer sich verweigert, muss mit Repressionen rechnen. So sieht die Realität dieser sogenannten Freiheit und Sicherheit aus.
Auch wäre es wohl naiv zu glauben, diese Freiheit und Sicherheit wären im Sinne angenehmerer Bürgerrechte gemeint, die diese Regierung unter allen Umständen als solche schützen will, wenn sie dies zwar bei Putin ankreiden, einem Trump – der ähnliches oder sogar noch unangenehmeres vorhat – aber die Stiefel lecken. Dafür setzen sie also bestimmt nicht ihre Existenz aufs Spiel.
Was also bedeutet es wirklich, wenn in der Ukraine „unsere Sicherheit“ verteidigt wird? Und was bedeutet es, wenn von „Sicherheitsinteressen eines Staates“ gesprochen wird? Was ist das für ein Frieden, den die da mit unserem Leben erreichen wollen?
Das in einer Demorede vernünftig zu beantworten ist wohl unmöglich, weshalb wir uns auf einem Workshop damit auseinandersetzen wollen. Ein paar grundsätzliche Sachen zu dieser Friedensordnung wollen wir als Denkanstoß aber wenigstens schon einmal angedeutet haben.
Denn der Frieden, der da zwischen den Staaten herrscht, ist überhaupt nicht zu verwechseln mit einem harmonischen Zustand.
Man muss wohl keine Marxistin sein, um zu sehen, dass Staaten sich wechselseitig benutzen, um das jeweils eigene Wachstum, den eigenen Einfluss in der Welt zu vergrößern. Und dass die das machen, liegt darin, dass ein jeder kapitalistischer Staat, für seine Handlungsfähigkeit sein Wachstum haben muss.
Und das wäre wohl ziemlich begrenzt, würden sie dafür nur ins eigene Land schauen. Also schauen Staaten, wie sie für sich das Ausland nützlich machen können. Der Griff zu militärischer Gewalt ist aus diesem Prinzip der Konkurrenz um Wachstum natürlich erstmal überhaupt nicht fern.
Doch wie passt das denn jetzt zusammen mit dem Ukrainekrieg? Mindestens für diese Seite springt da doch, außer für ein paar Rheinmetall-Aktionäre nichts heraus – im Gegenteil. Geht es also doch nicht darum?
In der heutigen Zeit kann man sich es nicht so vorstellen, das Krieg direkt für kapitalistisches Wachstum geführt wird.
Vielmehr wird eine ganze Ordnung; ein Regelwerk verteidigt, die es den großen Europäischen Ländern ermöglicht systematisch als ökonomische Gewinner bestehen zu bleiben. Inwiefern?
Der Westen war unter Führung der USA die letzten Jahrzehnte militärisch derart überlegen, dass es sich für keinen Staat der Welt gelohnt hätte, ernsthaft gegen die geballte macht der Nato zu kämpfen.
In diesem Zustand der geklärten Machtverhältnisse, diesem Frieden, konnte die überlegene Seite Regeln zur Sicherstellung seines Erfolgs einrichten.
Und so konnten die großen Länder Europas davon profitieren, indem den wirtschaftlich schwächeren Länder nun nichts anderes mehr übrig blieb, als einigermaßen frei mit ihnen wirtschaftlich zu konkurrieren. Naja und dort wo das Kapital bereits groß vorhanden war, dort ist man natürlich in der deutlich besseren Position.
Mit der EU hat der europäische Teil des Westens dann ein Konstrukt schaffen, dass die ganzen ehemaligen Ostblockstaaten ihrem Erfolg unterordnen sollte.
Die nach der Wende dann neu entstandenen kapitalistischen Staaten mussten dann zwar auch um Wachstum konkurrieren, hätten aber niemals eine Chance gehabt gegen die viel reicheren Länder mitzuhalten. Sie standen vor dem wirtschaftlichen Kollaps.
In dieser ausweglosen Situation kam dann die EU und hat ihn ein Angebot gemacht. Besser passt vielleicht das Wort Erpressung.
Die Ostblockstaaten öffnen ihren Markt der EU, was vor allem für Deutschland und Frankreich tolle neue Märkte bedeutet, können dann aber gleichzeitig auch hoffen, das europäische Konzerne bei ihnen investieren. Mit dem Ziel, irgendwie nicht unter zu gehen.
Dafür, dass diese neuen Staaten sich auf jeden Fall komplett von der EU abhängig machen müssen, wurde ein Regelwerkt mit über 100.000 Gesetzen geschaffen, dass es ihnen fast unmöglich macht, mit Russland Handel zu treiben.
Und das junge kapitalistische Russland war in einer ziemlich ähnlich ausweglosen ökomischen Situation. Statt sich aber auch dem der EU unterzuordnen und sich damit zum systematischen Verlierer zu machen, wollten sie für sich bessere Wachstumsbedingungen schaffen. Wie das aus kapitalistischer Logik eben sein muss.
Und da sie nun mal das Militär der Weltmacht Sowjetunion geerbt haben, wollten sie sich nicht Regeln unterordnen, die für den Erfolg anderer eingerichtet waren. Sie wollten quasi dasselbe wie die EU, nur für sich anstreben: Legitimiert und durchgesetzt durch ihr Militär in einer bestimmten Einflusssphäre zwischenstaatliche Regeln festlegen, die zu ihrem Erfolg eingerichtet sind.
Beide Militärmächte haben sich entlang dieser Frage die letzten 30 Jahre gestritten. Und man kann sagen, Russland hat immer mehr Einfluss verloren.
Als letztendlich auch noch die ukrainische Führung sich dem Westen zugewandt hat, hat sich das der russische Staat im Hinblick auf seine Wachstumsgrundlagen – also einer systemischen Notwendigkeit – nicht mehr gefallen lassen. Hat seine Leute dagegen aufs Schlachtfeld befohlen. Und nun stehen da zwei Ansprüche über die Staatenordnung, zwei Ansprüche, die die grundsätzlichsten Bedingungen für den jeweils eigenen kapitalistischen Erfolg schaffen sollen, gegeneinander. Und natürlich kennt jede Seite nur sein Erfolg. Sein Frieden eben.
Und Vorsicht: Das ist keine Rechtfertigung, sondern der Versuch einer sachlichen Erklärung. Moral spielt in solchen staatlichen Überlegungen sowieso grundsätzlich keine Rolle.
Es ist eine Erklärung, die das überhaupt nicht verteidigen möchte, sondern eben verstehen will, wofür wir da ungefragt, von den Regierenden auf beiden Seiten eingespannt werden.
Und weil wir hier jetzt nicht weiter auf Details eingehen können, laden wir zu unserem Workshop ein:
Wenn im Krieg staatliche Interessen aufeinanderprallen, dass Hunderttausende sterben müssen, dann sollten wir zunächst wissen, warum es diese Interessen gibt. Die sind nämlich nicht – wie ihre hypermodernen Bomben – vom Himmel gefallen.
Dieses Wissen ist notwendig, um ihnen irgendwann gemeinsam auf allen Seiten den Kampf anzusagen.
Bringt eure Fragen, eure Kritik, eure Meinungen mit. Lasst uns gemeinsam nach Antworten suchen. Am 27.07. im KUZ