Rede 4 - Das nationale 'Wir'

„Wir müssen in diesem Land wieder mehr (…) arbeiten. Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand unseres Landes nicht erhalten können“. Das hat “unser” Bundeskanzler bei seiner ersten Regierungserklärung gesagt. Ganz schön ironisch, dass ausgerechnet dieser Multimillionär, der noch nie am Fließband oder im Krankenhaus acht Stunden geschuftet hat, ständig von einem Wir spricht.
Es erscheint ja irgendwie intuitiv, dass sich die Forderung nach mehr Arbeitszeit nicht an die 800.000 Personen in Deutschland richtet, die zwar arbeiten könnten, aber es nicht wollen und nicht brauchen, da sie Reich (!) sind.
Sollten diese Menschen nicht durch das nationale Wir genauso angesprochen werden, wie der Pfleger oder die Bauarbeiterin? Stattdessen ist uns intuitiv klar, dass wenn Wir sparen müssen, tatsächlich bei den Kindern oder Arbeitslosen der letzte Cent umgedreht werden muss, anstatt dass der Vermieter sich Sorgen um den dritten Urlaub im Jahr machen müsste. Das nationale Wir ist also selektiv. Natürlich kassiert Herr Rossmann nicht selbst und muss mehr arbeiten, stattdessen sollen es die Jugendlichen, die eh schon für unter Mindestlohn schaffen. Natürlich geht Merz nicht selbst ans MG, sondern schickt das Menschenmaterial Gen Z vor. Wenn der Kanzler Wir sagt, meint er Ihr.
Im zunehmend militaristischen Gegenwartsdiskurs wird von unserer Generation auch noch verlangt, Unser Land zu verteidigen. Von unserem Land zu sprechen, wenn 60% unserer Generation ihr Leben lang kein nennenswertes Vermögen besitzen werden, ist lachhaft. Daran ändert auch der Wohlfahrts- und Sozialstaat Deutschland nichts mit seiner Sozialversicherung, dem Bürgergeld und dem Arbeitsschutz. All das wurde durch die Arbeiterbewegung notgedrungen erkämpft und wird seit den 80er Jahren wieder massiv abgebaut. Der sozialpolitische Grund: die Arbeit ist zu teuer und findet sonst woanders statt. Gedient haben diese „sozialen Errungenschaften“ also nie dafür, uns ein gutes Leben zu ermöglichen. Stattdessen sollen wir damit unserer Rolle nachkommen können: Arbeiten für die Profite der Unternehmerschaft – Vielen Dank lieber Staat. Rum kommt dabei ein Lohn, der alleine nicht zum Leben reicht. Einem Leben mit so tollen „lohnarbeiterspezifischen Risiken“ wie Krankheit und Alter – Risiken, weil sie einen am Arbeiten hindern und ohne das ist und hat man nichts mehr hier im schönen Deutschland. So unselbstständig sind und bleiben wir, dafür sorgt der Sozialstaat. Solange wir in “unserem” Land für die Bereicherung anderer arbeiten gehen, ist es nicht unser Wohlstand, der verteidigt wird, sondern der unserer Chefs. Dafür, dass unser eigener Lebensstandard sinkt, brauchen wir keinen Russen, das schafft Merz auch allein.
Warum sollten nicht die Porschemädchen, die alimentierten Schampusmänner und sonstige Taugenichtse zuerst an die Front, wo sie doch am meisten vom Status Quo im Vermögensbesteuerungsparadies Deutschland profitieren. Wer nur nimmt, könnte ja auch mal geben.
Aber genauso ist das nationale Wir eben nicht gemeint. Das nationale Wir ist eine im Kerne nationalistische Ideologie. Sie soll das instrumentelle Verhältnis verschleiern, dass dein Staat und dein Chef mit dir haben. Du sollst für deinen Chef, entgegen deinem Interesse an einem Privatleben, mehr Überstunden machen, und zwar unbezahlt, während er damit angibt, dass sein Geld für ihn arbeitet. Du sollst nach 45 Jahren schuften Pfandflaschen sammeln, damit dein Staat Panzer kaufen kann. Du sollst in Stahlgewittern verrecken, damit dein Staat seine “Sicherheitsinteressen” gewahrt sieht.
Aber trotzdem besteht in unserer Gesellschaft das weitgehende Einverständnis, dass „Wir“ mehr arbeiten müssten oder, dass wir wieder kriegstüchtig werden müssten. Selbst unter denjenigen, die tatsächlich mehr schuften oder an die Front müssen, gibt es hierfür eine große Zustimmung. Tatsächlich ist es ja nicht von der Hand zu weisen, dass nicht nur die Sozialsysteme und der Arbeitsschutz auf nationaler Ebene abgebaut wurden, sondern auch international im großen Stile dereguliert wurde. Der Freihandel und die Währungsunion haben einen internationalen Unterbietungswettbewerb an Umweltauflagen, Arbeitsschutz, Steuersätzen oder Löhnen provoziert, der dazu führt, dass sich mittlerweile Werktätige zwischen Lohnerhöhungen oder dem Arbeitsplatz entscheiden müssen. Das heißt, wir sollen mehr arbeiten, nur damit wir nicht unsere ökonomische Lebensgrundlage verlieren, denn der Wohlstand, der daraus entsteht, ist nicht „unserer“, sondern der wird an die Kapitalmärkte fließen, damit der „Wirtschaftsstandort Deutschland“ international attraktiv bleibt. So unvernünftig geht es zu im besten aller Systeme.
Natürlich wäre so eine „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit überhaupt nicht nötig, um sinnvoll die Bedürfnisse der Bevölkerung zu stillen, ebenso, wie es keines internationalen Konkurrenzkampfes bedarf, bei dem nur zählt, dass der Nachbar ärmer wird als man selber. Aber es geht nicht um Bedürfnisbefriedigung, sondern um Profitabilität. Diese Profitabilität ist unabdingbar für die wirtschaftliche Aktivität, ohne die der Staat seine Überlebensgrundlage verliert.
Tatsächlich geht es also nie um „unseren“ Wohlstand, sondern immer um die Machtinteressen von Staat und Kapital, wenn „Wir Deutschland dienen“ sollen. Unser Einkommen ist abhängig vom Profitinteresse der Unternehmen und unser nacktes Leben von den Entscheidungen der Politik. Doch ein echtes Wir, das kann ich anbieten: die Gesamtheit der arbeitenden Bevölkerung, egal ob in den USA, Deutschland oder Russland. Die Arbeiter*innen haben kein Vaterland. Wir wollen wohnen und Wir schuften dafür die Hälfte des Monats. Wir wollen einen Lohn, der zum Leben reicht, unser Chef will einen Lohn, der zum Sterben nicht reicht. Wir wollen leben, unser Staat will uns für ihn und diese Ordnung notfalls sterben schicken.
Der Nationalist Carl Schmitt hat einmal gesagt: „Wer vom Menschen redet, will lügen“ Die internationalistische Version dieses Zitats wäre wohl: „Wer von der Volksgemeinschaft redet, will lügen“ Denn nichts anderes ist das nationale Wir. Die Idee in eins fallender Interessen einer Bevölkerung mit ihren Herrschern. Tatsächlich gilt es zu erkennen, dass man nicht aufgrund derselben Uniform dieselben Interessen hat, sondern aufgrund der jeweiligen Position in der eigenen Gesellschaft.
Der Feind des Soldaten liegt nicht gegenüber im Schützengraben, sondern in der gemütlichen Hauptstadt und fällt dort das Todesurteil.
Es erscheint ja irgendwie intuitiv, dass sich die Forderung nach mehr Arbeitszeit nicht an die 800.000 Personen in Deutschland richtet, die zwar arbeiten könnten, aber es nicht wollen und nicht brauchen, da sie Reich (!) sind.
Sollten diese Menschen nicht durch das nationale Wir genauso angesprochen werden, wie der Pfleger oder die Bauarbeiterin? Stattdessen ist uns intuitiv klar, dass wenn Wir sparen müssen, tatsächlich bei den Kindern oder Arbeitslosen der letzte Cent umgedreht werden muss, anstatt dass der Vermieter sich Sorgen um den dritten Urlaub im Jahr machen müsste. Das nationale Wir ist also selektiv. Natürlich kassiert Herr Rossmann nicht selbst und muss mehr arbeiten, stattdessen sollen es die Jugendlichen, die eh schon für unter Mindestlohn schaffen. Natürlich geht Merz nicht selbst ans MG, sondern schickt das Menschenmaterial Gen Z vor. Wenn der Kanzler Wir sagt, meint er Ihr.
Im zunehmend militaristischen Gegenwartsdiskurs wird von unserer Generation auch noch verlangt, Unser Land zu verteidigen. Von unserem Land zu sprechen, wenn 60% unserer Generation ihr Leben lang kein nennenswertes Vermögen besitzen werden, ist lachhaft. Daran ändert auch der Wohlfahrts- und Sozialstaat Deutschland nichts mit seiner Sozialversicherung, dem Bürgergeld und dem Arbeitsschutz. All das wurde durch die Arbeiterbewegung notgedrungen erkämpft und wird seit den 80er Jahren wieder massiv abgebaut. Der sozialpolitische Grund: die Arbeit ist zu teuer und findet sonst woanders statt. Gedient haben diese „sozialen Errungenschaften“ also nie dafür, uns ein gutes Leben zu ermöglichen. Stattdessen sollen wir damit unserer Rolle nachkommen können: Arbeiten für die Profite der Unternehmerschaft – Vielen Dank lieber Staat. Rum kommt dabei ein Lohn, der alleine nicht zum Leben reicht. Einem Leben mit so tollen „lohnarbeiterspezifischen Risiken“ wie Krankheit und Alter – Risiken, weil sie einen am Arbeiten hindern und ohne das ist und hat man nichts mehr hier im schönen Deutschland. So unselbstständig sind und bleiben wir, dafür sorgt der Sozialstaat. Solange wir in “unserem” Land für die Bereicherung anderer arbeiten gehen, ist es nicht unser Wohlstand, der verteidigt wird, sondern der unserer Chefs. Dafür, dass unser eigener Lebensstandard sinkt, brauchen wir keinen Russen, das schafft Merz auch allein.
Warum sollten nicht die Porschemädchen, die alimentierten Schampusmänner und sonstige Taugenichtse zuerst an die Front, wo sie doch am meisten vom Status Quo im Vermögensbesteuerungsparadies Deutschland profitieren. Wer nur nimmt, könnte ja auch mal geben.
Aber genauso ist das nationale Wir eben nicht gemeint. Das nationale Wir ist eine im Kerne nationalistische Ideologie. Sie soll das instrumentelle Verhältnis verschleiern, dass dein Staat und dein Chef mit dir haben. Du sollst für deinen Chef, entgegen deinem Interesse an einem Privatleben, mehr Überstunden machen, und zwar unbezahlt, während er damit angibt, dass sein Geld für ihn arbeitet. Du sollst nach 45 Jahren schuften Pfandflaschen sammeln, damit dein Staat Panzer kaufen kann. Du sollst in Stahlgewittern verrecken, damit dein Staat seine “Sicherheitsinteressen” gewahrt sieht.
Aber trotzdem besteht in unserer Gesellschaft das weitgehende Einverständnis, dass „Wir“ mehr arbeiten müssten oder, dass wir wieder kriegstüchtig werden müssten. Selbst unter denjenigen, die tatsächlich mehr schuften oder an die Front müssen, gibt es hierfür eine große Zustimmung. Tatsächlich ist es ja nicht von der Hand zu weisen, dass nicht nur die Sozialsysteme und der Arbeitsschutz auf nationaler Ebene abgebaut wurden, sondern auch international im großen Stile dereguliert wurde. Der Freihandel und die Währungsunion haben einen internationalen Unterbietungswettbewerb an Umweltauflagen, Arbeitsschutz, Steuersätzen oder Löhnen provoziert, der dazu führt, dass sich mittlerweile Werktätige zwischen Lohnerhöhungen oder dem Arbeitsplatz entscheiden müssen. Das heißt, wir sollen mehr arbeiten, nur damit wir nicht unsere ökonomische Lebensgrundlage verlieren, denn der Wohlstand, der daraus entsteht, ist nicht „unserer“, sondern der wird an die Kapitalmärkte fließen, damit der „Wirtschaftsstandort Deutschland“ international attraktiv bleibt. So unvernünftig geht es zu im besten aller Systeme.
Natürlich wäre so eine „Flexibilisierung“ der Arbeitszeit überhaupt nicht nötig, um sinnvoll die Bedürfnisse der Bevölkerung zu stillen, ebenso, wie es keines internationalen Konkurrenzkampfes bedarf, bei dem nur zählt, dass der Nachbar ärmer wird als man selber. Aber es geht nicht um Bedürfnisbefriedigung, sondern um Profitabilität. Diese Profitabilität ist unabdingbar für die wirtschaftliche Aktivität, ohne die der Staat seine Überlebensgrundlage verliert.
Tatsächlich geht es also nie um „unseren“ Wohlstand, sondern immer um die Machtinteressen von Staat und Kapital, wenn „Wir Deutschland dienen“ sollen. Unser Einkommen ist abhängig vom Profitinteresse der Unternehmen und unser nacktes Leben von den Entscheidungen der Politik. Doch ein echtes Wir, das kann ich anbieten: die Gesamtheit der arbeitenden Bevölkerung, egal ob in den USA, Deutschland oder Russland. Die Arbeiter*innen haben kein Vaterland. Wir wollen wohnen und Wir schuften dafür die Hälfte des Monats. Wir wollen einen Lohn, der zum Leben reicht, unser Chef will einen Lohn, der zum Sterben nicht reicht. Wir wollen leben, unser Staat will uns für ihn und diese Ordnung notfalls sterben schicken.
Der Nationalist Carl Schmitt hat einmal gesagt: „Wer vom Menschen redet, will lügen“ Die internationalistische Version dieses Zitats wäre wohl: „Wer von der Volksgemeinschaft redet, will lügen“ Denn nichts anderes ist das nationale Wir. Die Idee in eins fallender Interessen einer Bevölkerung mit ihren Herrschern. Tatsächlich gilt es zu erkennen, dass man nicht aufgrund derselben Uniform dieselben Interessen hat, sondern aufgrund der jeweiligen Position in der eigenen Gesellschaft.
Der Feind des Soldaten liegt nicht gegenüber im Schützengraben, sondern in der gemütlichen Hauptstadt und fällt dort das Todesurteil.